Garten - Ein philosophischer Resonanzraum
Februar 2019. Wir waren gerade erst eingezogen, in drei Wochen würde die erste Gruppe kommen. Der Garten war winterlich, keine Blumen zu sehen, alles flach, dunkel und kalt. Wir kannten den Garten natürlich von unseren vorherigen Aufenthalten und hatten immer wunderbare Bilder von Blumen, Bäumen, Ruhe und Lebendigkeit mitgenommen. Aber nun waren wir unsicher. Was verbirgt sich hier? Was wird wiederkommen? Wir hatten, um ehrlich zu sein, nicht viel Erfahrung in puncto Gärtnern mitgebracht. So wurde die Auseinandersetzung mit diesem spezifischen Raum eine Reise für uns, die sich anfühlte wie ein echtes Abenteuer.
Während wir im Freien arbeiteten, wurde uns klar, in welch diverser Hinsicht der Garten ein philosophischer Resonanzraum ist. Im Garten verorten wir uns notwendigerweise als Mensch zwischen Natur und Kultur. Welche unserer Bedürfnisse sollen hier angesprochen sein, welche Bedürfnisse der Gäste und Besucher*innen? Wie verbinden sich Gestaltungswünsche mit den natürlichen Ressourcenkreisläufen, in die Pflanzen, Tiere, Bodenlebewesen wie Pilze, aber eben auch wir selbst eingebunden sind? Welche ästhetischen Fragen stellen sich und wie beantworten wir diese im Zusammenspiel mit der Umgebung des Dorfes und der Landschaft? Und natürlich: Werden unsere Bemühungen von Glück gesegnet sein? Denn verstehen und planen kann ich Vieles, doch wirklich steuern nur Weniges in diesem komplexen Zusammenspiel.
So hat uns der Garten inspiriert zu einem Vortrag auf dem diesjährigen World Usability Day an der Hochschule Flensburg. Wir glauben, dass Unternehmer*innen, Entscheider*innen, Führungskräfte und Designer*innen tatsächlich eine Menge lernen können von der Erfahrung des Gärtnerns. Wir leben in einer komplexen Zeit voller Veränderungen und neuen Entwicklungen, in einer hochgradig interdependenten Welt voller Parallelitäten und Widersprüche, hohen Idealen und Vorstellungen von Machbarkeit bei gleichzeitig immer weniger Planbarkeit. Ganz konkret befinden sich viele Unternehmen gerade in einer Phase der digitalen Transformation und müssen zusätzlich mit den vorübergehenden und den voraussichtlich bleibenden Konsequenzen der Pandemie umgehen. Ein Garten ist ebenso ein komplexer, interdependenter Raum, in dem wir einen wesentlichen und doch sehr begrenzten Einfluss haben. Wir empfehlen das Gärtnern, weil es die notwendige Demut lehrt, um in Zeiten hoher Unsicherheit zurechtzukommen. Das bedeutet, immer aufmerksam zu bleiben, Vieles zu versuchen, sich über das Gelingende zu freuen und das Nicht-Gelungene doch nicht als bloßen Fehler abzutun. Es bedeutet Machbarkeitsillusionen abzulegen und radikal das anzunehmen, was da ist, anstatt ständig darüber nachzudenken, was man noch alles erreichen könnte, wenn die Dinge fundamental anders wären. Nicht umsonst sagt Monty Don, der wohl bekannteste britische TV-Gärtner: "When you plant something, you invest in a beautiful future amidst a stressful, chaotic and, at times, downright appalling world."
Wir haben den Vortrag geschlossen mit dem Hinweis, dass Planen und Implementieren wesentlich weniger wichtig ist gegenüber einer ständigen Praxis ganz unterschiedlicher Handlungsstrategien.
Wen dies erinnert an die künstlerischen Handlungsstrategien liegt aus unserer Sicht ganz richtig. Denn wer hat schon so viel Erfahrung darin in einem vollkommen unbestimmten Raum mit nur einer Ahnung von Ziel und offenem Ausgang tätig zu sein wie Kunstschaffende?
Die folgende Folie hatten wir letztendlich rausgelassen, aber ich denke, sie gibt eine gute Zusammenfassung.
Ich persönlich lerne in so vieler Hinsicht im Garten fast täglich Neues. Sei es durch das Ziehen von ein- und mehrjährigen Sommerblumen, von Obst und Gemüse oder durch Schaffung neuer Strukturen oder eben das ganz einfache aber kontinuierliche Beobachten der Natur. Auch in ästhetischer Hinsicht ist der Garten ein unglaublich toller Lernort.
Zu Beginn dieses Beitrags sagte ich, dass wir uns im Garten als Mensch zwischen Natur und Kultur verorten. Man könnte auch sagen verorten müssen. Wie sehr auch moralisch-ethische und politische Fragen hier berührt sind, wird bei einem Besuch der zahlreichen Garten- und Vogelgruppen in den sozialen Medien deutlich. Niemals habe ich so rigorose Gruppenregeln und -grundsätze einerseits und so harte, das Thema vollkommen sprengende Auseinandersetzungen andererseits erlebt.
Das Schönste für mich jedoch bleibt, dass ein Garten immer von Vergangenheit und Zukunft lebt. Viele Bäume, Sträucher und Stauden wurden von Vor- oder sogar Vorvorbesitzer*innen gepflanzt. Die Beschaffenheit des Bodens verweist Tausende Jahre weit in die Vergangenheit. Manches von dem, was ich heute säe oder pflanze, wird auch nach mir noch hier sein. Ich denke machmal ganz bewusst darüber nach, was ich heute noch im Garten tun würde, wenn ich wüsste, dass ich das nächste oder übernächste Frühjahr nicht mehr erlebe. Das macht mir klar, welche Qualitäten für mich auch im Hinblick auf das, was ich Anderen hinterlassen möchte, wichtig sind. Ich bin sicher, dass diese vorweggenommene historische Perspektive auch in Bezug auf Themen wie Freundschaft, Familie oder den Beruf sehr fruchtbar sein kann. So, let us invest in a beautiful future!